„Gott hebt uns wieder in die Lüfte“

Thea Eichholz-Müller im Gespräch mit Sabine Schmidt

in "Neues Leben", 

über den Tod ihres Mannes, über Trauer und neue Hoffnung 


Sowohl zu Hause als auch auf der Bühne war das Musikerehepaar Thea Eichholz-Müller und Bernd-Martin Müller ein Traum-Team. Viele Jahre prägten sie unter anderem mit ihrer Band „Layna“ die deutschsprachige christliche Musikszene mit. Beide waren eng mit NEUES LEBEN verbunden. Im Herbst 2002 geschieht das Unfassbare: Bei Bernd-Martin wird Krebs diagnostiziert. Nur ein knappes Jahr später ist er tot. Thea Eichholz-Müller bleibt mit den beiden Söhnen zurück. – Auf ihrer neuen CD „Breite deine Flügel aus“ beschreibt die Musikerin ihren Umgang mit der Trauer. Aber auch neue Hoffnung breitet sich aus.


SS: Der Tod deines Mannes Bernd-Martin liegt nun ein gutes Jahr zurück. Wie hast du die Zeit bis heute erlebt?

 

TEM: Ich habe mich förmlich an Jesus „geklebt“, habe mich mit aller Kraft an ihn drangehängt. In den ersten Monaten hatte ich große Angst, dass mich plötzlich der „Riesenkoller“ überfallen würde. Bisher ist er ausgeblieben, was nicht heißt, dass es nicht schmerzhaft war und ist. Auch heute noch gibt es verweinte Tage. Dennoch habe ich den Eindruck, dass die Trauer anders vonstatten geht, als ich es in vielen Büchern gelesen habe.

 

Für mich stehen oftmals zwei Gefühle nebeneinander: Es ist wirklich so, dass man von Herzen lachen und trotzdem im gleichen Moment leiden kann. Da ist einerseits der Schmerz über die Lücke, die Bernd-Martin hinterlassen hat. Aber da ist auch die Hoffnung und das Wissen: Gott gerät nichts aus der Kontrolle und er schenkt meinem Leben auch wieder Freude und eine Zukunft.

 

SS: Wie gehen deine Söhne damit um, dass ihr Papa nicht mehr da ist?

 

TEM: Felix, unser Jüngster, war zu der Zeit, als Bernd-Martin erkrankte, einfach noch sehr klein. Bei Moritz ist das schon anders. Er erinnert sich auch an Kleinigkeiten, die er mit Bernd-Martin erlebt hat. Es gibt Momente, in denen er von jetzt auf gleich in Tränen ausbricht und sagt: „Ich finde es aber doof, dass alle einen Papa haben und ich nicht!“ Und wieder eine Viertel Stunde später lacht er sich über irgendetwas Lustiges kaputt. Damit ist er mir fast ein „Vorbild“. Er zeigt mir: Es gibt eine Zeit, traurig zu sein, aber danach ist auch wieder etwas anderes dran.

 

SS: Haben Bernd-Martins Krankheit und Sterben dich verändert?

 

TEM: Das müssen letzten Endes andere beurteilen, aber ich denke schon. Die gesamte Zeit, besonders aber das Jahr nach seinem Tod würde ich für mich grob mit dem Wort „Grenzerweiterung“ überschreiben und das in jeglicher Hinsicht. Es hat mich gelassener, mutiger und auch belastbarer werden lassen. Das Leben wird kostbarer für einen, wenn man sieht, wie sehr ein anderer Mensch um seines kämpft.

 

In unserer Ehe war Bernd-Martin immer der, der alles locker nahm. Selbst wenn es schwierig wurde, sagte er: „Das schaffen wir schon! Das Problem lösen wir!“ Und ich war eher die, die alles abwog und manchmal auch ein bisschen bremste. Nun war aber er, beziehungsweise seine Krankheit, das Problem und damit drehten sich die Rollen. Plötzlich musste ich ihn motivieren, tragen und trösten – angefangen bei den praktischen Dingen wie der Auseinandersetzung mit Ärzten bis hinein in die Beziehung zu Gott. Manchmal habe ich zu ihm gesagt: „Ja, ich will dich immer wieder mit vor Gott tragen, wenn du nicht kannst. Auch wenn ich mich selbst nicht stark fühle.“

 

SS: Ihr musstet euch ja beide intensiv mit der Frage nach dem Tod beschäftigen. Wie war das?

 

TEM: Zu einem Zeitpunkt, an dem es Bernd-Martin schon sehr schlecht ging, standen wir einmal auf einer Fahrt zu einer Klinik stundenlang im Stau. Ich wollte die Zeit nutzen und so fing ich an, kreuz und quer in der Bibel Stellen über Tod und Himmel nachzulesen. Ich habe zu ihm gesagt: „Wenn du weiterlebst, ist es gut, wenn du die Angst vor dem Tod verlierst. Und wenn du stirbst, musst du sie auch verlieren. Das ist unsere einzige Chance!“

 

SS: Hast du in all dem Leid jemals Gottes Liebe angezweifelt?

 

TEM: Es entspräche nicht der Wahrheit, wenn ich sagen würde, ich wäre nie wütend auf Gott gewesen. Aber es war selten. Am Ende lief es immer darauf hinaus, dass ich zu ihm gesagt habe: „Ich muss mich sowieso auf dich verlassen. Wenn ich dich jetzt noch verlasse, dann bin ich verlassen!“ Es gibt eine biblische Wahrheit, die immer ganz fromm klingt, wenn man sie von anderen hört, die ich ganz existenziell erfahren habe: Wenn es ganz schlimm war, schenkte Gott einen Frieden und eine Gelassenheit, die über alles menschliche Verstehen hinausgingen.

 

SS: Wie seid ihr mit der Hoffnung auf Heilung, aber auch mit der Möglichkeit des Sterbens umgegangen?

 

TEM: Wir haben uns vorgenommen, bis zum Schluss damit zu rechnen, dass Gott eingreift und waren doch schon mit einem Bein in Richtung Himmel unterwegs. Christen vertreten hier ja die unterschiedlichsten Meinungen. Die einen sagen: „Nun ist die Zeit des Abschiednehmens gekommen, du musst deinen Frieden darin finden.“ Und die anderen sagen: „Nee, da beten wir jetzt gegen an! Jeder kann geheilt werden!“ In diesem Spagat haben wir uns befunden und ehrlich gesagt, tut mir diese Spannung noch immer weh.

 

Ich bin überzeugt davon, dass Gott auch heute noch heilt. Aber wir haben es eben nicht erlebt. Leider wird dieser Punkt von manchen Christen sehr unsensibel gehandhabt. Natürlich verstehe ich diejenigen, die Heilung erlebt haben und dann nicht begreifen, wenn das bei anderen nicht so funktioniert. Und würde Bernd-Martin heute noch leben, stünden wir wohl sehr in der Gefahr, uns mächtig was drauf einzubilden – nach dem Motto:„Mensch, siehst du, geht doch, der Glaube muss nur groß genug sein!“ Die Gefahr bei dem ganzen Thema ist, dass man versucht, Heilung zu automatisieren und Gott in die Knie zu zwingen. Aber er lässt sich nichts aus der Hand nehmen.

 

SS: Wie habt ihr euch auf den Tag des Abschieds vorbereitet?

 

TEM: Fünf Tage bevor Bernd-Martin zu Hause starb, hatte er noch einmal einen Krankenhausaufenthalt. Dort hat uns die Pfarrerin Monika Deitenbeck-Goseberg besucht, die später auch die Predigt auf der Beerdigung gehalten hat. Bernd-Martin hat einige sehr direkte Fragen gestellt und sie hat ihm direkte Antworten gegeben. Aber sie hat ihm auch den Himmel in den schönsten Worten beschrieben und ihm so Mut gemacht. In einem Vortag hat sie einmal gesagt: „Nur wer gut sterben kann, kann auch gut leben.“ Es ist so ähnlich, wie wenn du in ein Land verreist, in dem du noch nie warst. Je näher der Reisetermin rückt, desto besser bereitest du dich vor. Du fängst an, über das Land zu lesen und nachzudenken und irgendwann kommt der Tag, an dem du deine Koffer packen musst. Bernd-Martin hatte das Jahr genutzt – sein Koffer war gepackt.

 

SS: Ist der Gedanke an den Himmel heute für dich realer?

 

TEM: Das Bewusstsein, das nach dem Tod etwas kommt, auf das ich mich freuen kann, ist in mir stark gewachsen. Nicht nur, dass ich meinen Mann dann wieder sehe, sondern auch, dass dort Jesus Christus auf mich wartet und in Empfang nehmen wird. Dass er seine Arme ausbreitet und sagt: „Du hast es geschafft, du musst dich nicht mehr quälen, jetzt ist Gutsein.“ Das tröstet mich sehr.

 

SS: Du hast viele deiner Erfahrungen in Liedern verarbeitet. Die Texte auf deiner neuen CD sind sehr intim, voller Trost, voller Hoffnung, aber auch voller Fragen – beinahe wie Psalmen.

 

TEM: Die Lieder sind ja zum Teil schon während Bernd-Martins Krankheit, aber auch nach seinem Tod entstanden. In ihnen spiegelt sich meine ganze Wut und Trauer, aber auch mein Dank und mein Vertrauen. Was sehr interessant war: Wenige Wochen, nach dem Tod meines Mannes, nahm ich an einem Seminar für allein erziehende Mütter teil. Die Frauen wurden eingeladen, ihren ganz persönlichen „Psalm“ zu schreiben, um eine neue Form zu finden, mit Gott zu reden. Wie bei den Liedern Davids, sollten darin alle Gedanken und Emotionen, die unser Leben bestimmen, ihren Platz finden können. Ich setzte mich also brav hin und wollte etwas zu Papier bringen. Da wurde mir klar, dass ich „meine Psalmen“ schon längst geschrieben hatte. Die Lieder des vergangenen Jahres!

 

SS: Was in den Texten auffällt ist, dass sich in vielen von ihnen starke Gegensätze gegenüberstehen: Es geht um Gottes Mut statt unserer Angst, um seine Stärke statt unserer Schwäche. Begreifen wir das vielleicht erst in Krisenzeiten: dass Gott groß ist und wir klein – aber in seiner Hand?

 

TEM: Ein Bibelvers, der mir ganz neu wichtig geworden ist, steht in 1. Petrus 5: „Demütigt euch unter die gewaltige Hand Gottes, damit er euch erhöhe zu seiner Zeit“. Und dann folgt direkt: „Alle eure Sorge werft auf ihn, denn er sorgt für euch.“ Das war in all der Zeit mein Vers und ist es bis heute. Das will ich lernen: Ich will mich demütigen unter das, was Gott für mich hat – was auch immer das sein mag. Denn wenn es dann Sorgen mit sich bringt, muss eben nicht ich mich mit ihnen abschleppen, sondern kann sie Gott überlassen.

 

SS: Der Titel der CD lautet „Breite deine Flügel aus“. Aus welchem Grund?

 

TEM: Auch wenn die Lieder in einer traurigen Zeit entstanden sind, steht die Trauer nicht im Vordergrund. Es ging mir um mehr. In dem Lied „Breite deine Flügel aus“ geht es darum, wie Gott seine Flügel schützend über mir, über uns ausbreitet. Das war mein Grundgefühl im vergangenen Jahr: Es gibt einen Ort bei Gott, an dem ich mich bergen kann.

 

Aber auch etwas anderes verbinde ich mit diesem Titel: Er macht Mut, die eigenen Flügel wieder auszubreiten und sich tragen zu lassen. Wir dürfen wissen, dass das, was Gott an Neuem schenkt, uns auch wieder in die Lüfte hebt.

 

SS: Was hoffst du für die Zukunft?

 

TEM: Für meine Kinder wünsche ich mir, dass ich ihnen viel geben kann, aber nicht alles ersetzen muss. Dass ich sehe, dass sie mit der Situation zurechtkommen und sich zu gesunden, starken Persönlichkeiten entwickeln.

 

Als Musikerin möchte ich sicher sein, dass das, was ich tue, wirklich dran ist. Meine Kraft ist begrenzt und ein Geschenk. Auch das weiß ich heute. Und da erbitte ich mir von Gott, dass ich das auswähle, was auch er im Sinn hat.

 

[Interview: Sabine Schmidt in Neues Leben, März 2005]


Zur Person

DIE MUSIKERIN

Musik war schon immer die große Leidenschaft von Thea Eichholz-Müller. In Köln studierte sie Gesang. Zusammen mit dem Musiker Bernd-Martin Müller, mit dem sie seit 1989 verheiratet war, prägte sie über viele Jahre die christliche Musikszene in Deutschland mit, u. a. als Sängerin der Gruppe „Layna“, die sich nach dem Tod ihres Mannes im Oktober 2003 auflöste. Mit der CD „Breite deine Flügel aus“ (Gerth Medien), auf der sie die „Sturmzeiten“ der Trauer musikalisch verarbeitet hat, bringt die 38-Jährige in diesen Tagen ihr erstes Soloalbum auf den Markt.

 

DIE MUTTER

Heute ist Thea Eichholz-Müller allein erziehende Mutter von Moritz (6) und Felix (3). Nicht zuletzt der Alltag mit ihren Söhnen liefert immer wieder neuen Stoff für ihre Kabarett-Gruppe, mit der sie seit 1999 auftritt. In einem 100-minütigen Programm erzählen „Die Mütter“ Thea Eichholz-Müller, Margarete Kosse und Carola Rink mit viel Wortwitz und Musik nicht nur von den Sternstunden des Mutter- und Frauendaseins.